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Spiel allein

Veröffentlicht: Mosaik Frühjahr 2017

(Auszug)

Robert verfolgt Anton durch den Wald. Er ist ein paar Jahre älter als Anton und dementsprechend größer im Wuchs. Bald hat er Anton eingeholt und erwischt ihn am Kragen seines Hemds. Das reißt Anton zu Boden. Ohne sich mit den Händen abzustützen, landet er mit dem Gesicht im Dreck. Robert hat Antons Hinterkopf umfasst, reißt ihn an den Haaren hoch und drückt sein Gesicht tiefer in die Erde. Antons Mundraum und Nasenhöhlen füllen sich mit grobkörnigem Braun. Antons Mundraum und Nasenhöhlen füllen sich mit grobkörnigem Braun. Seine Finger krallen sich an den Wurzeln fest. Er muss die Erde schlucken, um Luft zu bekommen. Robert steht auf und tritt mit seinen Schuhen in Antons Seite. Wie heißes Eisen brennt sich der Schmerz durch Antons Rippen und presst ihm Tränen heraus. Robert tritt weiter nach ihm. Jetzt treffen Robert Tritte ihn in seinen Magen. Noch viermal, bis es Robert selbst zu anstrengend wird. Anton weiß nicht, wie lange Robert schon aufgehört hat, auf ihn einzutreten. Er hört nur mehr, wie Robert sich den Rotz in der Nase hochzieht und dann Anton damit bespuckt. Anton rührt sich nicht. In seinem Kopf klirrt Glas, das immer wieder aufs Neue zerspringt.

Die Wolken ziehen schnell. Als Mala die Straße Richtung Dorf erreicht, ist der Himmel bereits wieder bedeckt. Die Luft zieht sich feucht und stickig nach oben zurück und scheint an der weißen Decke abzuprallen. Auf Malas Armen rinnt Schweiß in Bächen herunter. Sie wischt sich an ihrem Sommerkleid trocken. Ein Donnern tönt durch die menschenleere Landschaft und unzählige Hagelkörner brechen aus den Wolken heraus. Mala steht wie angewurzelt da, zuerst von der Kühle entzückt, bis der feine Schmerz des herunterprasselnden Eises sie wieder zu sich kommen lässt. Es gibt weit und breit kein Obdach.

Das Donnern hallt bis in den Wald hinein. Anton nimmt es zur Kenntnis, doch er rührt sich nicht. Hier im Wald, unter den Bäumen besteht keine Notwendigkeit, sich vor dem Hagel zu schützen. Denn die Nadeln legen sich wie ein fein gewebter Teppich über den Waldboden und lassen nur vereinzelt Körner durch.

Mala geht an der Straße entlang. Sie friert. Der Wind fegt alles Lose aus der Landschaft heraus. Blätter, Blüten und Staub. Sie geht weiter, auch wenn der Hagel ihr auf Kopf und Rücken peitscht. Es bleibt ihr nicht anderes übrig.

Anton kann sich nicht bewegen, zu stark ist der sich ausbreitende Schmerz. Die Rippen sind noch nicht zu spüren, der Körper hält die Empfindung zurück. Anton denkt darüber nach, wie das alles gekommen ist. Er denkt an Mala. Das prasselnde Eiswasser überdeckt jeden Ton des Waldes. Ihretwegen liegt er jetzt hier. Weil er sich um sie gekümmert hatte, sich gesorgt. Er schmeckt Erde und Blut in seinem Mund. Er hat aufgehört zu weinen. Er denkt an Mala und an ihren zarten Kopf in seiner Hand. Er würde ihn auch gern in den Dreck drücken, bis ihre Mundhöhle mit Erde aufgefüllt ist. Er würde sie dann an ihrem schwarzen Schopf hochziehen und mit Schwung den Kopf in den Waldboden schlagen.

Ein Wagen bleibt neben Mala stehen. Das erste Fahrzeug dass ihr auf dieser Straße begegnet. Der Fahrer öffnet die Tür von innen. Es ist keiner der Leute aus dem Dorf. Er sagt etwas, das sie durch den Lärm des Hagels nicht versteht. Sie blickt in den warmen Innenraum es Autos, zieht ihr Kleid zurecht, dass kalt und nass an ihrer Haut klebt und steigt ein.